Progressive Newsletter: Horse-Tiger

Ole Lukkoye – Horse-Tiger
(59:04, Klangbad, 2002)

Freitag Abend bei nasskaltem Novemberwetter auf deutschen Autobahnen. Der Verkehr ist wie immer katastrophal stockend, die rechte Spur scheint wieder mal für ein Großteil der Fahrer nicht existent zu sein und die Konzentration bleibt angespannt. Da hat sogar die quasi-Kansas Scheibe “Proto-Kaw” nur bedingte Chance im Player zu bleiben, denn trotz der genialen Qualität der Scheibe, hilft sie recht wenig bei trostlosem An- und Anfahren im Sekundentakt. Mal kurz geprüft, was denn noch so im Auto herumfährt: ach ja, die neue Ole Lukkoye. Das ist wohl die wesentlich bessere Wahl, um den Trott des Dauerstaus zu ertragen. Genau die richtige Entscheidung, denn schon kurzer Laufzeit, groovt die Scheibe los, der Stau löst sich auf und die CD wird zur perfekten Wegbegleitung auf dem Nachhauseweg durch Nacht und Regen. Nun ist “Horse-tiger” bei weitem mehr, als nur untermalende Staumusik. Wer die früheren Alben der Band aus St.Petersburg kennt oder sich deren mitreißende Auftritte auf dem Burg Herzberg Festival in Erinnerung ruft, der weiß schon ungefähr, auf was er sich hier einlässt: rhythmisch hypnotische Musik mit Suchpotential. Doch ist “Horse-tiger” in gewisser Weise anders als die Vorgänger. Ole Lukkoye, die mehr mit einer offenen Interpretation von Art-Rock anfingen, im Laufe ihrer Karriere immer mehr moderne Dance-Elemente, Samples, elektronische Rhythmen einbauten, dabei aber auch auf die Folklore ihrer Heimat zurückgriffen, ist es inzwischen gelungen einen eigenen, sehr eindringlichen Stil zu definieren. Sängerin Tanya Svaha sorgt mit guturalen Lauten im Stil von Marie Boine für die exotische Komponente, wie es auch der Band bestens gelungen ist, die Oboe in ihre ganz eigene Art von Psychedelic Trance einzubringen. “Horse-tiger” ist noch eine Spur tanzbarer, hypnotischer als das letzte Studioalbum “Crystal-crow-bar”, aber desgleichen weniger experimentell, leichter verdaulicher. Die Gitarre wurde zugunsten der Elektronik zurückgenommen, ist aber immer noch elementarer Bestandteil der ewig zuckenden Sounds. Einen Kritikpunkt müssen sich die Russen jedoch gefallen lassen. Während sie als Liveband eine unbestreitbare Klasse für sich sind, leiden ihre Alben, wie jetzt auch “Horse-tiger” unter dem Ozric Tentacles Syndrom: es bleibt wirklich schwierig die einzelnen Titel auseinander zuhalten, insgesamt hat man auch den Eindruck, dass die Band etwas mehr auf “Nummer Sicher” geht. Dennoch ist Ole Lukkoye ist mit “Horse-tiger” wiederum ein Album gelungen, dass sich konsequent und logisch in die eigene Diskographie einreiht und einmal mehr dokumentiert, welche vitale Musik in Russland nur auf ihre Entdeckung wartet.

Kristian Selm, Progressive Newsletter Nr.42 (12/2002)