Text zu Ole Lukkoye, 2001
Trance ist ein Schlüsselwort, wenn es um die Beschreibung der Musik von Ole Lukkoye aus dem russischen St. Petersburg geht. Hiermit ist allerdings keine Spielart des Dance Bereichs gemeint, wiewohl sich gezeigt hat, dass gerade in diesem Feld Freunde und Fans gefunden wurden, als vielmehr eine Haltung und Vorgehensweise bei der eigenwilligen Zusammenführung gegensätzlicher musikalischer und kultureller Zutaten/Einflüsse.
Das Universum der Gruppe ist groß und vielschichtig: Ole Lukkoye ist in der Andersen’chen Märchenwelt eine Art Sandmann, der den Kindern und natürlich auch nur den braven am abend die Milch versüßt und ihnen somit die Pforten der Traumwelt öffnet. Ole Lukkoyes Geschichten, also die Träume seiner Schützlinge, waren und sind im nördlichen Teil des Europäischen Russlands erstaunlich populär. Hiermit ist allerdings nicht nur eine skandinavisch / “baltic” Identität proklamiert; ebenso verweist der Bandname auf ein Pop-Kultur Phänomen aus sozialistischen Zeiten, nämlich die weitverbreiteten Hörspielschallplatten mit eben diesen Geschichten.
Und damit wären gerade mal zwei Momente in diesem Universum benannt, daneben wären vielleicht noch die russischen Märchenfilme aus den 40er Jahren zu nennen, mit ihren offensichtlichen psychedelische Inhalten, die gelegentlich in die Videoprojektionen ein fester Bestandteil des Live-Konzepts bei Konzerten eingeblendet werden. Oder eben die Anspielungen und Versatzstücke schamanistischer und archaischer Kulturen, aus den Weiten des post-sowjetischen Imperiums, mit denen Ole Lukkoye auf Tourneen und Exkursionen in Kontakt gekommen sind...
Ole Lukkoyes Musik löst reihenweise Assoziationen an oben Beschriebenes aus: tribal percussions, die orientalischen Stimmung des Fargotts und anderer wood winds von Alxender Frolow oder Boris Bardash spröder Gesang in der Art shamanistischer Kehlkopftechnik. Ähnlich wie bei den französichen Folk-Avantargardisten Magma, handelt es sich bei den Lyrics oft um keine besonders verbreitete Sprache.
Petersburg als Russlands Tor zum Westen, ermöglichte früher als anderswo in der UDSSR auch die Rezeption westlischer Popmusik (z.B. durch finnisches Radio und TV). Auch hier sind die von der Band benannten Vorbilder bemerkenswert, wenn etwa New Wave Helden wie Japan genannt werden. Und wie aus jüngster Geschichte bekannt, haben sich ja die Herren Eno und Czukai in Petersburg für einige Zeit aufgehalten...
Die Geschichte der Gruppe geht zurück auf die goldene Zeiten des sowjetischen Music Undergrounds Mitte bis Ende der 80er Jahre, als Andrey Lavrinenko und Boris Bardash in verschieden “progressiven” Rockensembles durch das Sowjetimperium zogen. Erfolgreichstes Projekt war die Art-Rock/Improvisations Formation Rainy Season. Kurz vor dem kommerziellen durchbruch der Gruppe stiegen Bardash und Lavrinenko aus um ohne Kompromisse ihr eigenes Projekt zu starten: Ole Lukkoye.
Bereits 1993 wurde ihr Debüt Zapara ein inzwischen gesuchtes Stück Vinyl als LP beim Antrop Label veröffentlicht. Gefolgt von Toomze 1996 beim deutschen Lollipop Shop Label. Danach, 1997, dann im Eigenverlag Do Do Do Remedy For a Dwarf.
Nach endlosen Touren durch Mitteleuropa in den vergangenen Jahren endlich der Lohn der Mühen: im Juli 1999 spielen die Petersburger Ole Lukkoye auf dem Mitteldeutschen Herzberg Festival und sorgen für eine Sensation.
Es ist Sonntag 11 Uhr ante meridiam, der letzte Tag des Festivals, als die Musiker die Bühne betreten. Was keiner fassen kann, innerhalb von Minuten kriechen die Überlebenden aus ihren Zelten und pilgern im Halbschlaf zur Hauptbühne, um sich der groovenden Trance-Messe der Pop-Schamanen um Boris Bardash hinzugeben... heute ist Sonntag, falls das für irgendwen noch von Bedeutung ist...
Als die Show vorbei ist, flimmert ein großes Fragezeichen über dem Platz, OLE... wer??? Die wenigen CDs der Gruppe sind eine halbe Stunde nach dem Auftritt vergriffen und prompt wird den Jungs ein Plattenvertrag angeboten.
Pragmatisch gingen die begeisterten Festivalbesucher vor, als es darum ging Ole Lukkoyes psychedelische Mischung aus New Wave/Art Rock, World Beats und shamanistischem Trance in Worte zu fassen: das Wort vom russichen Krautrock machte die Runde.
Und ausgerechnet H.J Irmler von der Kraut/Noise-Legende Faust signalisiert Interesse an einer Zusammenarbeit. Der Einladung ins Studio bei Irmler ausdrücklich ein zusätzlicher kreativer Part, wie jedes aufzunehmende Instrument folgen die Russen im Januar 2000.
Dort entstehen dann in Kooperation mit Irmler die Aufnahmen zum vierten Album von Ole Lukkoye.
Neben Bardash (nein, nicht Gesang, schamanistisches Medium!, Keyboards, Programming und Gitarre) lieferten Lavrinienko (Bass und Percussion), der akademisch ausgebildete Alexander Frol am Fagott (verantwortlich ist für den orientalische Flair) und zum ersten mal auch die Sängerin Tanja das Material der Tracks des neuen Albums.
Die mystisch-psychedelischen Song- & Soundvisionen der Russen haben durch Irmlers Produktion eine gewisse Dramatik, Schärfe und Differenziertheit bekommen; und weniger als bei den Vorgängeralben stehen die pathetischen sentimentalen Momente eher im Hintergrund.
Und eben obengenanntes Festival wird im Juli 2000 der Ort sein, an dem Ole Lukkoye sich und Chrystal CrowBar präsentieren und wie immer wird es wieder etwas ganz anderes sein, als erwartet.
Lollipop Shop, 2001